Die Bedeutung der Initialen

S war früher üblich, die Anfangsbuchstaben eines Textes größer darzustellen, kunstvoll zu verzieren und zu kolorieren.

OR allem findet man solche kunstvollen Initialen in alten Bibeldrucken. Meist sind sie sogar handkoloriert. Welch herrliche Kunstwerke sind uns zum Glück erhalten geblieben!

UCH die Originalausgabe 1555 der „Prophéties“ enthält besonders ausgestaltete Initialen, jeweils beim ersten Vers jeder Centurie. Allerdings nicht goldverziert, wie etwa in manchen Bibeln, aber auch hervorragende Holzschnitte.

ENTURIEN heissen die einzelnen Abschnitte der Prophéties des Nostradamus, weil in ihnen meist 100 Quatrains (Vierzeiler) zusammengefasst sind.

ATSÄCHLICH sind die fünf Initialen ein wesentlicher Teil des Schlüssels zu den Quatrains. Mir sind diese Bilder schon früh aufgefallen und ich sollte mit meiner Vermutung, dass sie uns ein Geheimnis mitteilen wollen, recht behalten.

Das erste Bild (Vers C 1.1) zeigt die Initiale E und einen alten Mann, dessen rechte Hand auf dem unteren Bildrand ruht und der mit dem erhobenen Zeigefinger der linken Hand hinauf zeigt, als wollte er ausdrücken: „Pass auf!“ Drei Finger dieser Hand sind gekrümmt, der Daumen ist nicht sichtbar. Auch der Blick des Mannes scheint auf den erhobenen Finger gerichtet zu sein und unterstreicht die hinweisende Wirkung.

Das zweite Bild (Vers C 2.1) zeigt die Initiale V und offensichtlich denselben Mann. Der Blick des Mannes und sein Zeigefinger der rechten Hand weisen auf die (vom Betrachter aus gesehen) rechte untere Ecke des Bildrahmens.

Auf dem dritten Bild (Vers C 3.1), das die Initiale A enthält, ist der Mann mit einer Frau dargestellt. Der Mann steht also im heiratsfähigem Alter. Bedeutungsvoll hält der Mann seine linke Hand in einer schwur-ähnlichen Haltung, wobei drei Finger ausgestreckt sind: Daumen, Zeige- und Mittelfinger, zwei davon liegen auf dem Querbalken des A, wirken also wie unterstrichen. Mann und Frau scheinen einander anzusehen.

Das vierte Bild (Vers C 4.1) schließlich zeigt die Initiale C und den Mann in offensichtlich jungen Jahren, da er – gegenüber den anderen Bildern – noch einen sehr kurzen Bart hat. Der Zeigefinger der linken Hand ist genau auf die (vom Betrachter aus gesehen) linke untere Ecke des Bildrahmens gerichtet. Der Kopf ist diesmal im Profil zu sehen, der Blick ist seitlich nach rechts (vom Betrachter aus gesehen) gewandt.

Auch der Brief an Caesar weist eine derartig bebilderte Initiale „T“ auf. Es scheint auch derselbe Mann auf dem Bild zu sein, hier hat seine rechte Hand einen übernatürlich langen Zeigefinger, der parallel zum rechten Bildrand hinauf zeigt. Man sieht nur zwei Finger.

Bevor wir auf die Bedeutung dieser Bilder eingehen, sei darauf hingewiesen, dass (nach Brind’Amour) diese Holzschnitte von Georges Reverdy gefertigt wurden. Reverdy (Reverdinus) stammte aus Norditalien, arbeitete in Rom und war schließlich einer der berühmtesten Holzgraveure in Lyon, wo er ungefähr von 1529 bis 1564 arbeitete. Zahlreiche Werke, die in Lyon gedruckt wurden, sind mit Holzschnitten des „Maître George“ bildlich ausgestaltet.

Die Druckerei Bonhomme, welche die Erstausgabe der Prophéties auflegte, verwendete hiezu offenbar bereits vorhandene Gravuren für die Initialen, denn man findet beispielsweise ganz genau dieselbe Initiale V zu Beginn der „Morosophie“ des Guillaume de la Perriere Tolosain, welche bereits 1553, interessanterweise auch in Form von Quatrains, erschienen ist. Dagegen sehen noch ein Jahr zuvor, beim Druck der „Considerations des quatre mondes“, ebenfalls von Perriere verfasst und bei Bonhomme gedruckt, die Initialen anders aus.

Ob nun für die Prophéties von Nostradamus ergänzende Initialen neu angefertigt worden sind, kann zwar vermutet werden, ist aber nicht wesentlich. Eines ist lediglich wichtig: Nostradamus hat mit diesen Darstellungen einen ganz bestimmten Zweck verfolgt. Als ich die Bilder, die doch eine so starke Aussage haben, erstmals 1993 in der Originalschrift sah, war ich überzeugt, dass sie eine tiefere Bedeutung haben. Keine der späteren Ausgaben der Prophéties wies eine derartige figurale Ausschmückung der Initialen auf! Und damit ergab sich auch die Begründung, warum Nostradamus eine Teilveröffentlichung seiner Prophéties vorgenommen hatte. Er brauchte genau vier Centurien für seine vier Initialen und die fünfte Initiale stellte er in den Brief an den Sohn Caesar.

Nun soll die Bedeutung der Initialen für die Entschlüsselung dargelegt werden. Ein wesentliches Indiz zur Ordnung der fünf Initialen sehe ich in der Stellung der Finger, die stets in bestimmte Richtungen zeigen. Ferner gilt die Bartlänge als weiteres Merkmal. Man kann schließlich ein quadratisches Diagramm zeichnen.

Da auf dem Bild mit der Initiale C der Mann offensichtlich als Jüngling dargestellt ist, beginne ich mit diesem Buchstaben. Stellen wir also das C in die linke untere Ecke eines Quatrates.
Auf dem Bild A, das den Mann nach seinen Jünglingsjahren bereits im heiratsfähigen Alter zeigt, liegen die Finger in der Mitte des Bildes.
Der Finger auf dem Bild mit der Initiale V zeigt genau auf die gegenüberliegende untere Ecke von C.
Die Finger auf den Bildern E und T zeigen beide hinauf. Auf dem Bild T streckt sich der lange Finger der rechten Hand parallel zum rechten Bildrand und zeigt zur oberen Ecke. Also stellen wir das T dorthin.
Schwieriger erscheint die Interpretation des Bildes E, doch bleibt nur noch die linke obere Ecke frei.

Auf diese Weise haben wir eine bestimmte Abfolge der Initialen erhalten: C – A – V – T – E

In alten Schriften wurde statt des U ein V geschrieben, wir haben somit das Wort „CAUTE“, das das lateinische Adverb für sicher, gesichert ist. Folgt man also dieser Reihung der Initialen, befindet man sich auf dem Weg, der einem sicher zum richtigen Ergebnis führt! (So ist es auch zum Logo dieser Homepage geworden.)

Auf dem Weg über C – A – V – T – E sind nämlich bei der Entschlüsselung eines Quatrains folgende Arbeiten durchzuführen: das C steht für Berichtigung (franz.: Correction) der vielfachen orthographischen und grammatikalischen Fehler in den Versen. Es sind so viele Berichtigungen durchzuführen, wie es Buchstaben C im Quatrain gibt. So wird ein einwandfreier (altfranzösischer) Text gewonnen, denn einen solchen hat Nostradamus vor der Verschlüsselung geschrieben. Nach der Berichtigung kann erst die Entschlüsselung begonnen werden. Die eigentliche Jahreszahl bestimmt man durch zwei Vokale A (franz.: An = Jahr). Diese Jahreszahl muss aber noch eine Veränderung erfahren (franz.: Variation). Diese Veränderung wird entsprechend der Anzahl der Buchstaben V im Quatrain gemacht. Letztlich muss das veränderte Ergebnis noch umgekehrt werden (franz.: Tournement). Das Jahrhundert erhält man durch drei Vokale E (franz.: Ere = Zeitalter).
Die von Nostradamus verwendeten Buchstaben in den Bildern entsprechen den französischen Wörtern für den jeweiligen Begriff und erklären somit den auszuführenden Vorgang.
Auch die Anzahl der Finger haben eine Bedeutung. Bei der Berechnung zeigt sich, dass man drei A verwenden soll, aber nur zwei davon von Bedeutung sind, daher liegen nur zwei der drei ausgestreckten Finger auf dem Querbalken von A (Unterstreichung). Nach der Veränderung ist das Ergebnis, das durch diese zwei A bestimmt wird, umzudrehen; daher sind auf dem Bild T nur zwei Finger zu sehen. Die drei gekrümmten Finger beim Buchstaben E deuten auf die drei zu verwendeten Vokale E hin, die zur Bestimmung des Jahrhunderts maßgebend sind.
Man sieht, so wie das ganze Wort CAVTE eine Bedeutung aufweist, haben auch die einzelnen Buchstaben eine vorgegebene Bedeutung. Diese konnte hier nur kurz angeführt werden. Der aus den Initialen herausgefundene Rechenablauf lässt sich an Hand von anagrammatischen Regeln exakt belegen. Auf diese umfangreiche Darlegung muss hier zunächst verzichtet werden.

Neben den Initialen sind auch die ersten Worte im Brief und in den Quatrains in Großbuchstaben gedruckt, sie lauten

TON TARD – ESTANT – VERS – APRES – CELA

Mit wenigen Umstellungen kann man diese Worte, bei denen insbesondere „Vers“ auffällt, zu folgendem Satz anagrammieren: 

PAR LETTRES CONSTATE D’AN À VERS

In freier Übersetzung: DURCH DIE BRIEFE STELLT MAN DAS JAHR IM VERS FEST. Einen deutlicheren Hinweis auf die in beiden Brieftexten (Brief an Heinrich, Brief an Caesar) enthaltenen Regeln, welche die Jahreszahlen für die Verse liefern, kann man sich nicht wünschen!