Der erste lateinische Text 

Im folgenden sind die lateinischen Textstellen im Brief an Caesar  und im Brief an Heinrich aufgelistet. Es sind jeweils 13 Sätze (darunter sind auch Phrasen und Einzelwörter zu verstehen). In runder Klammer ist jeweils die Anzahl der lateinischen Buchstaben angegeben. Bei manchen Ausdrücken war es zunächst nicht völlig klar, ob sie zum lateinischen Text gehören (etwa Huy, huy). Dies hat sich aber im Zuge der weiteren Bearbeitung erwiesen. In eckiger Klammer sind die Positionen angegeben, wobei die Zahl die Wortanzahl ab Beginn des Briefes bedeutet, bei der der jeweilige lateinische Textteil beginnt.

Der Brief an Caesar enthält der Reihe nach entsprechend dem Originaltext folgende lateinische Sätze:

[8] AD CAESAREM NOSTRADAMUM FILIUM  (27)
An den Sohn Caesar Nostradamus
[171] SOLI NUMINE DIUINO AFFLATI PRAESAGIUNT ET SPIRITU PROPHETICO PARTICULARIA  (65)
Nur durch den göttlichen Willen können sie vorhersagen und am prophetischen Geist teilhaben
[310] NOLITE SANCTUM DARE CANIBUS NEC MITTATIS MARGARITAS ANTE PORCOS NE CONCULCENT PEDIBUS ET CONUERSI DIRUMPANT VOS   (96)
Gebt das Heilige nicht den Hunden und werft eure Perlen nicht den Schweinen vor, denn sie könnten sie mit ihren Füßen treten, sich umwenden und euch zerreißen
[373] ABSCONDISTI HAEC A SAPIENTIBUS ET PRUDENTIBUS ID EST POTENTIBUS ET REGIBUS ET ENUCLEASTI EA EXIGUIS ET TENUIBUS   (95)
Du hast es den Weisen und Klugen verborgen, das heißt den Mächtigen und Königen, und hast es geoffenbart den Unmündigen und Schlichten.
[489] QUIA NON EST NOSTRUM NOSCERE TEMPORA NEC MOMENTA ETC.  (44)
Weil es uns nicht zusteht, die Zeit noch den Moment zu kennen etc.
[666] PROPHETA DICITUR HODIE, OLIM VOCABATUR VIDENS  (39)
Heute nennt man sie Propheten, einst wurden sie Seher genannt
[1222] QUIA OMNIA SUNT NUDA ET APERTA ETC. (28)
Weil alles bloß und offen liegt etc.
[1283] POSSUM NON ERRARE, FALLI, DECIPI (26)
Ich kann nicht irren, mich täuschen, noch getäuscht werden.
[1903] NON INCLINABITUR IN SAECULUM SAECULI  (32)
Sie wird sich nicht in alle Ewigkeit neigen
[2135] VISITABO IN VIRGA FERREA INIQUITATES EORUM ET IN VERBERIBUS PERCUTIAM EOS  (63)
Ich werde ihre Ungerechtigkeiten mit eiserner Rute heimsuchen und sie mit Geißeln schlagen
[2173] CONTERAM ERGO ET CONFRINGAM ET NON MISEREBOR  (38)
Ich werde sie daher zertreten und zerbrechen und mich nicht erbarmen
[2200] IN SOLUTA ORATIONE  (16)
In ungebundener Sprache
[2235] SED QUANDO SUBMOUENDA ERIT IGNORANTIA  (33)
Aber einst wird die Unwissenheit hinweggenommen sein

Der Brief an Heinrich enthält der Reihe nach entsprechend dem Originaltext folgende lateinische Sätze:

[489] MINERUA LIBERA ET NON INUITA  (24)
Minerva (war) frei und unbeeinflusst
[534] QUOD DE FUTURIS NON EST DETERMINATA OMNINO VERITAS  (43)
Dass über die Zukunft die Wahrheit nicht völlig vorherbestimmt ist
[585] TRIPODE AENEO  (12)
Auf dem ehernen Dreifuß
[1063] EFFUNDAM SPIRITUM MEUM SUPER OMNEM CARNEM ET PROPHETABUNT FILII VESTRI ET FILIAE VESTRAE  (76)
Ich werde meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und es werden eure Söhne und Töchter weissagen.
[1135] FATO, DEO, NATURA  (13)
Vom Schicksal, von Gott, von der Natur
[1619] PER TEMPUS ET IN OCCASIONE TEMPORIS  (30)
Durch die Zeit und in günstiger Zeit
[2471] VT AUDIRET GEMITUS COMPEDITORUM VT SOLUERET FILIOS INTEREMPTORUM  (57)
Damit man die Klagen der Gefangenen hört und die Söhne der Getöteten befreit
[2553] TRIUMUIRAT  (10)
Triumvirat
[3765] BELLIS RUBUIT NAUALIBUS AEQUOR  (27)
Durch die Kämpfe zur See färbte sich das Wasser rot
[3870] SANCTA SANCTORUM  (15)
Das Allerheiligste
[3972] HUY, HUY  (6)
Hui, hui
[4110] MULTA ETIAM, O REX, OMNIUM POTENTISSIME PRAECLARA ET SANE IN BREUI VENTURA, SED OMNIA IN HAC TUA EPISTOLA INNECTERE NON POSSUMUS NEC VOLUMUS SED AD INTELLIGENDA QUAEDAM FACTA HORRIDA FATA PAUCA LIBANDA SUNT, QUAMUIS TANTA SIT IN OMNES TUA AMPLITUDO ET HUMANITAS HOMINES DEOSQUE PIETAS VT SOLUS AMPLISSIMO ET CHRISTIANISSIMO REGIS NOMINE ET AD QUEM SUMMA TOTIUS RELIGIONIS AUCTORITAS DEFERATUR DIGNUS ESSE VIDEARE  (346)
Vieles, o König, der Du über alles mächtig bist, wird sich klar und deutlich in Kürze ereignen, allerdings alles in diesen an Dich gerichteten Brief hinein zu schreiben, kann und will ich nicht. Nur zum besseren Verständnis sollen gewisse schreckliche Ereignisse hier angedeutet sein. Denn so reich ist Deine Größe und Menschenfreundlichkeit und Deine Frömmigkeit vor Gott, dass Du allein würdig bist, den Namen des mächtigsten christlichsten Königs zu tragen. Dir allein muß auch die höchste Autorität in religiösen Dingen zuerkannt werden.
[4173] FACIEBAT MICHAEL NOSTRADAMUS SALONAE PETREAE PROUINCIAE  (50)
Verfaßt von Michel Nostradamus in Salon in der Provinz Petri.

Auffällig war der lange lateinische Teil [4110] im Brief an Heinrich. Zählt man in diesen lateinischen Texten die Anzahl der Buchstaben zusammen, so ergibt sich in Summe

für den Text im Brief an Caesar 602 Buchstaben
für den Text im Brief an Heinrich 709 Buchstaben
davon der Textteil [4110] im Brief H 346 Buchstaben

Rechnet man 709 minus 346 ergibt sich 363, das ist um 17 mehr als 346. Genau 17 Buchstaben haben die Worte „Petreae Prouinciae“ des letzten Satzteiles. Dieser Teil hat (regelgemäß) zu entfallen. Der maßgebende Teil des lateinischen Textes im Brief an Heinrich enthält somit 346 Buchstaben. Teil Caesar und Teil Heinrich ergeben dann insgesamt 602 plus 346 gleich 948 Buchstaben! Das entspricht der Gesamtzahl der Quatrains.

Mit der Frage der Neureihung der lateinischen Sätze (Phrasen) hatte sich erstmals Carl Loog in seinem 1921 erschienenen Buch „Die Weissagungen des Nostradamus“ auseinandergesetzt. Loog führte im Anhang zu seinem Buch, Kapitel XI. „Der Schlüssel zu den Zenturien“, zunächst eine ein wenig verwirrende Neuaufteilung der Quatrains von den bestehenden 10 Centurien auf 22 Bücher (mit unterschiedlicher Versanzahl) durch. Er ging dabei von 942 Quatrains aus, von denen er drei abzieht, die keine Prophezeiungen enthalten, d.s. die Verse C 1.1, C 1.2 und der lateinische Vers. Nun ist er auf die wesentliche Erkenntnis gestoßen, dass die Anzahl der Buchstaben der lateinischen Phrasen mit der Anzahl der Quatrains übereinstimmt. Loog stellte nun die Theorie auf, dass jeder Vers nach einem mathematischen Schlüssel, den er im Hinblick auf die erwähnten 22 Bücher in Form eines Schlüsselwortes mit 11 Buchstaben vermutete (er dachte an NOSTRADAMUS), den Buchstaben des lateinischen Textes zugeordnet sei. Dadurch sollte sich die chronologisch richtige Aufteilung der Quatrains auf die 22 Bücher ergeben.Aber nach seinem eigenen Eingeständnis ist ihm die Entschlüsselung, selbst nach einer Umstellung der lateinischen Phrasen, nicht geglückt. „Überall stehen also Türen offen, die in die Irre führen“ klagte er. Loog hatte nämlich aus seiner an sich richtigen Erkenntnis der Übereinstimmung der Buchstaben- und Versanzahl nicht die richtigen Schlüsse gezogen. Zunächst ist er von einer falschen Anzahl von Buchstaben ausgegangen, und dann hat er nicht die richtige neue Reihung der lateinischen Phrasen gefunden, denn er hat versucht sie rein nach text-logischen Gründen neu zu reihen, um einen möglichst sinnvollen Gesamttext zu erhalten. Aber die Verschlüsselung ist komplizierter aufgebaut.

Aber auf seine Erkenntnis, der gleichen Anzahl der lateinischen Buchstaben und der Quatrains, habe ich aufgebaut, da ich überzeugt war, dass hier kein Zufall vorliegen könne. Wenn aber der Schlüssel tatsächlich in den lateinischen Phrasen zu suchen war, so kam der richtigen Schreibweise dieser Phrasen größte Bedeutung zu. Daher versuchte ich zu Beginn meiner Arbeit, also im Jahre 1992, durch Vergleich mehrerer Ausgaben den originalen lateinischen Text wiederherzustellen.

Die neue Reihung des lateinischen Textes findet man nicht – wie Loog versucht hatte – durch einen logischen Zusammenhang der einzelnen Textteile, sondern es gibt im Brief ganz genaue Hinweise von Nostradamus, die nur bei genauer Betrachtung augenfällig sind. Beispielsweise ist das lateinische Wort „fato“ (Schicksal) in einer Textstelle des Briefes an Heinrich zu finden. In ganz gleicher Schreibweise, obwohl es diese in Französisch gar nicht gibt, ist „fato“ auch im Vers C 1.76 enthalten. Ebenso fielen mir die Wörter „tripode aeneo“ , „triumvirat“ und „sancta sanctorum“ im Brief an Heinrich und in den Versen C 1.1 (selle d’aerain), C 5.7 (triumuir) bzw. C 6.30 (sainct saincteté) auf. Meine Vermutung, dass es für jeden lateinischen Satz (Phrase) ein Stichwort gibt, das in einem der Quatrains genau einmal vorkommt, und dass die lateinischen Sätze sodann nach den Nummern dieser besonderen Quatrains geordnet werden können, stellte sich schließlich als richtig heraus.Auf diese Weise erhält man den zweiten lateinischen Text.